Wort des Landesbischofs zum Buß- und Bettag 2020
»… so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.« (Mt 11, 29)
Der Buß- und Bettag ist in Sachsen ein gesetzlicher Feiertag. Das ist ein großes Geschenk!
Wir können einen zusätzlichen Tag dafür nutzen, um Klarheit darüber zu gewinnen, ob wir
mit unserer Lebensführung auf einem guten Weg sind und wir können mit Gott darüber
sprechen. So bietet dieser besondere Tag Gelegenheit für Selbstkritik, Besinnung und neue
Orientierung.
Wir begehen den Buß- und Bettag dieses Jahr mitten im November-Lockdown. Die erneuten Einschränkungen verlangen uns eine Menge ab. Ich habe den Eindruck, sie werden schwerer verarbeitet als im Frühjahr. Viele Menschen kommen an die Grenzen ihrer Kraft. Die Spannungen unter uns nehmen zu, manchmal liegen die Nerven blank. Normalerweise leben wir jetzt auf die Adventszeit zu und freuen uns auf Weihnachten, doch die Aussichten sind dieses Jahr trüb.
Was bringt uns durch diese schwierigen Wochen? Wer hilft uns, das Geschehen einzuordnen? Wie gewinnen wir neue Zuversicht?
Jesus verspricht, dass er Menschen zur Ruhe führen will. Im 11. Kapitel des Matthäusevangeliums
ist das mit folgenden Worten aufgeschrieben:
Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt
auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so
werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
Ich erkenne darin drei große Herausforderungen und zugleich Chancen:
1. Lasten bewegen
Niemand möchte belastet sein und doch ist keiner dauerhaft davon befreit. Im Moment spüren wir stärker als sonst, was es heißt, nicht unbeschwert leben zu können. Uns wird neu wichtig, dass es Grundrechte geben muss. Zugleich bekommen wir vor Augen gehalten, dass sich daraus kein Anspruch auf unbeschwertes Leben ableiten lässt. Das löst bei vielen Widerstand aus. Manchmal ist Widerstand notwendig. Ich frage mich, ob er hier hilft oder nur zusätzlich Kraft kostet und für Aufregung sorgt.
Demgegenüber empfiehlt Jesus, das Joch zu tragen. Damit stellt er uns die Frage, ob es nicht zumutbar ist, sich einspannen zu lassen, um eine Last zu bewegen. Im Moment heißt die Last vor allem Corona. Es gilt Einschränkungen zu ertragen und Mühe auf sich zu nehmen, um diese Herausforderung zu bewältigen. Dabei sind die Lasten ganz unterschiedlich verteilt. Deshalb dürfen wir nicht nur schauen, wie wir selbst gut durchkommen, sondern werden unser Leid auch ins Verhältnis setzen müssen zu dem, was andere zu tragen haben. Niemand soll überfordert werden. Wir bewegen die Lasten gemeinsam.
2. Vorsichtig miteinander sein
Obwohl niemand ganz genau weiß, welchen Gesetzmäßigkeiten das Corona-Virus folgt, erklären wir uns gegenseitig unablässig, wie damit umzugehen ist. Das geschieht zum Teil in großer Erregung. Verdächtigungen werden ausgesprochen, Argumente nicht zugelassen. Freundschaften kommen unter Druck und wechselseitige Aufforderungen haben ultimativen Charakter. Angst macht sich breit.
Sanftmut aber ist die Fähigkeit, sich nicht von der Erregung mitreißen zulassen. Sie setzt auf einen behutsamen Umgang miteinander und möchte, dass niemand verletzt wird. Corona fordert uns genug heraus, durch mangelnde Sensibilität vergrößern wir die Last. Stattdessen muss jetzt immer mitgedacht werden, was unser Verhalten für andere bedeutet. Tragen wir zu Verwirrung und Spaltung bei oder liegen uns Ermutigung und Zusammenhalt am Herzen?
Dort, wo die Sanftmütigen ihre Wirksamkeit entfalten, kommt der Himmel auf die Erde. Gerechtigkeit,
Frieden und Freude gewinnen an Kraft. Alle können aufatmen.
3. Sich selbst zurücknehmen
Ein demütiger Mensch kann akzeptieren, dass er selbst nicht das Maß der Dinge ist. Er erkennt an, dass andere ihm gleichgestellt sind und ordnet sich ein. In der Corona-Pandemie lastet eine hohe Verantwortung auf denen, die in Politik und Gesellschaft, Gesundheitswesen und Wirtschaft Entscheidungen treffen müssen. Sie sollen nicht nur bestmöglich durch die Krise führen, sondern auch noch mit guten Argumenten und persönlicher Überzeugungskraft alle mitnehmen. Das kann nicht immer gelingen, zumal es unterschiedliche Handlungsoptionen gibt und die Dinge kompliziert sind. Verantwortliche brauchen jetzt Ermutigung und Unterstützung. Es muss ihnen zugetraut werden, dass sie unter Abwägung vieler Aspekte nach bestem Wissen und Gewissen handeln.
Demütige Menschen sind keineswegs unterwürfig, wenn sie vorgegebene Einschränkungen
mittragen. Sie sind aber bereit, um eines höheren Zieles willen, eigene Ambitionen zurückzustellen.
Das ist jetzt besonders gefragt.
Lasten bewegen, vorsichtig miteinander sein und sich zurücknehmen – das kann schnell zur Überforderung werden. Wir spüren, dass dazu Überwindung gehört. Mir gelingt das nur, wenn mein Gottvertrauen intakt ist. Wenn Gott mir Lasten zumutet und dabei an meiner Seite bleibt, werden sie tragbar sein. Weil er vorsichtig mit mir umgeht, kann ich auch anderen gegenüber vorsichtig sein. Ich glaube, dass Gott der Herr über das Leben ist, deshalb kann ich auch Menschen gegenüber demütig sein. So ist der Buß- und Bettag nicht nur zur Selbstbesinnung da. Er bietet vielmehr die Gelegenheit, Gott zu suchen und die Gewissheit zu gewinnen, dass er in der Krise mitten unter uns wirkt.
Etwas Persönliches zum Schluss:
Ich habe einen November-Gruß bekommen, eine Postkarte. Eine Collage zeigt einen blauen Hund auf einem Stuhl. Er schnauft durch und schaut von einem Hügel aus auf ein großes Durcheinander, welches sich zu seinen Füßen abspielt. Dazu steht: „innehalten – durchatmen – neu orientieren“.
Noch nie hat mich jemand zum November gegrüßt. Deshalb spricht mich diese Karte besonders an. Sie weist mich auf das hin, was jetzt möglich ist und stimmt mich auf den Buß- und Bettag ein. Ich denke, es ist möglich, zur Ruhe zu kommen.
Tobias Bilz
Landesbischof